Liebe Kuhle Wampe, lieber Hendrijk, liebe Jury, liebe Antifaschist_innen, liebe Gäste,
nein, Kuhle Wampe hat nichts mit Bierbäuchen zu tun. Aber ahnungslos und vorurteilsbehaftet wie ich war, dachte ich das als ich vor einigen Jahren zum ersten mal von einem Motorradclub mit diesem Namen hörte.
Weit gefehlt.
Der Name, den sich der antifaschistische Motorradclub vor über 40 Jahren gab, stellt historische Bezüge zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik her. Ich möchte Sie und euch daher zunächst einmal mitnehmen in die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und damit in eine Zeit, in der unsere Kuhle Wampe von heute noch gar nicht gegründet war.
nein, Kuhle Wampe hat nichts mit Bierbäuchen zu tun. Aber ahnungslos und vorurteilsbehaftet wie ich war, dachte ich das als ich vor einigen Jahren zum ersten mal von einem Motorradclub mit diesem Namen hörte.
Weit gefehlt.
Der Name, den sich der antifaschistische Motorradclub vor über 40 Jahren gab, stellt historische Bezüge zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik her. Ich möchte Sie und euch daher zunächst einmal mitnehmen in die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und damit in eine Zeit, in der unsere Kuhle Wampe von heute noch gar nicht gegründet war.
Der Begriff Kuhle Wampe kommt aus dem Berliner Raum und bedeutet so viel wie „leerer Bauch“.
Wichtiger für uns ist aber, dass auch eine Bucht am Müggelsee nahe von Berlin so heißt. Aufgrund ihrer zugigen Lage wurde dieser Ort nicht von privaten Villen oder teuren Strandbädern in Beschlag genommen.
So blieb der Teil des Sees für Arbeiter_innen mit und ohne Arbeit zugänglich. Sie gründeten dort 1913 die Zeltkolonie „Kuhle Wampe“. Bis zur Schließung gab es nicht nur Möglichkeiten der Erholung und Freizeitgestaltung. Der Campingplatz bot auch vielen Menschen – gerade während der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren – Unterschlupf.
Der Ort ist außerdem Mittelpunkt eines Werks von Berthold Brecht. 1932 stellte er mit seinem Film „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“ die Frage nach den Ungerechtigkeiten der damaligen Zeit. Gleichzeitig beschreibt er das Zusammenleben der Zeltplatzbewohner_innen als solidarisches Miteinander.
Die linken Studierenden und Arbeiterjugendlichen, die die Kuhle Wampe Ende der 1970er Jahre gründeten, konnten diesem Film einiges abgewinnen.
Wenn sie nicht gerade mit Arbeitslosigkeit oder Wohnungsnot zu kämpfen hatten fuhren die Bewohner_innen der Zeltkolonie selbst gerne Motorradrennen. So entstand die Idee, dem Motorradclub seinen Namen zu geben und damit die solidarische Tradition eines anderen Miteinanders, auch auf dem Motorrad, fortzuführen.
Der Film startet allerdings nicht mit unbeschwerten Motorradrennen auf dem Land, sondern zeichnet ein Bild existenzieller Nöte im Berlin der 1920er Jahre.
Nachdem ein arbeitsloser junger Mann sich auf der Suche nach Arbeit den ganzen Tag erfolglos abgestrampelt hat, bekommt er beim Abendbrot nur bittere Vorwürfe hören. Seine Eltern geben ihm selbst die Schuld an seiner Arbeitslosigkeit. Apathisch lässt er alle Beleidigungen über sich ergehen.
Nach dem Essen bleibt er alleine zurück. Die Kommode in der elterlichen Stube ist mit einem Spruch bedruckt, der ihn zu verhöhnen scheint: „Beklage nicht den Morgen, der Müh und Arbeit gibt. Es ist so schön zu sorgen, für Menschen, die man liebt.“ Aber wie? Wenn es einfach keine Arbeit gibt? Und der Mensch hinter der Arbeitskraft anscheinend nicht zählt? Er öffnet das Fenster, räumt umsichtig einen Blumentopf beiseite, steigt auf das Sims und stürzt sich in den Hinterhof zu Tode.
„Ein Arbeitsloser weniger“ kommentiert eine Nachbarin.
Die Eltern und Schwester Anni werden kurz darauf auf die Straße gesetzt. Die Miete kann schon seit Monaten nicht bezahlt werden. Anni läuft sich die Hacken ab, doch ob beim Wohlfahrtsamt oder beim Gerichtsvollzieher – man hat nur ein Achselzucken für sie übrig.
Schließlich findet die Familie Unterschlupf am Müggelsee, in der Zeltkolonie Kuhle Wampe. Doch auch dort ist nicht alles rosig. Anni wird ungewollt schwanger. Eine Abtreibung ist aber nicht nur verboten, sondern auch aus medizinischer Sicht gefährlich und vor allem teuer.
In einer zensierten Fassung des Filmes sammeln die Arbeitersportvereine kollektiv Geld, um Anni die Abtreibung zu ermöglichen.
Gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, steigende Preise und ungewollte Schwangerschaft werden im Film vor der Kulisse und im Kontext der frühen 1930er Jahre verhandelt.
Doch auch wenn wir heute in einer ganz anderen Zeit leben sind diese Themen nicht aus der Welt:
Existenzielle Nöte sind für viele Menschen bittere Realität. Die gesellschaftliche Debatte um eine und bedarfsgerechte Wohnungspolitik ist aus gutem Grund allgegenwärtig und das Recht von Frauen* auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung ist auch heute keine Selbstverständlichkeit.
Besonders bemerkenswert ist allerdings, was der Film NICHT zeigt:
Der Aufstieg der Nazis kommt kaum vor. Und das, obwohl der Film 1932 gedreht wurde und die Beteiligten bei den Dreharbeiten vor der SA beschützt werden mussten.
Heute wissen wir, dass nur ein Jahr später mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, die Macht an die Nationalsozialisten übergeben wurde.
Die Folge waren die millionenfache systematische Ermordung von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Zeugen Jehovas, und von Menschen, die den Nazis sozial oder politisch nicht passten.
Die Arbeiterbewegung wurde zerschlagen und ein Krieg vom Zaun gebrochen, der wiederum Millionen Menschen das Leben kostete.
Doch Anfang der 1930er Jahre war diese Geschichte noch ungeschrieben und ungeschehen. Auch die Gegner_innen der Nazis unterschätzten die Gefahr des NS. Vor allem aber begrüßte die Mehrheit der Bevölkerung den Aufstieg der NSDAP oder machte sogar aktiv mit.
Die Mitglieder der Kuhlen Wampe gehören seit 40 Jahren zu denen, die fest entschlossen sind, eine solche Entwicklung nicht noch einmal zuzulassen. Sie treten rechten Tendenzen und alltäglichem Rassismus aktiv entgegen und wollen einer faschistischen Gefahr gelebte Solidarität entgegensetzen.
Dass rechte Gewalt und menschenverachtende Einstellungen kein Schnee von gestern sind, zeigt leider jeder Blick in die Nachrichten. Vergangene Woche wurde die extrem rechte Partei Vox mit über 10% ins spanische Parlament gewählt, während die Regierungspartei FPÖ in Österreich gegen den Journalisten Armin Wolf hetzte, weil dieser es gewagt hatte die rassistische Rechtsaußenpartei zu kritisieren.
In ganz Europa beobachten wir einen Rechtsrucks und einen Prozess der autoritären Formierung, der über den Aufstieg offen menschenverachtender Parteien hinausgeht.
Während die Türkei in ein faschistisches Regime umgebaut wird und Polen die Gewaltenteilung abschafft, sind auch in anderen Staaten rechte Akteure mit und ohne Anzug auf dem Vormarsch.
Gleichzeitig wird eine autoritäre sogenannte Sicherheitspolitik handlungsleitend. Die Einschränkung von Grundrechten und der Niedergang der freien Presse sind Folgen, wie wir sie aktuell vielerorts beobachten können.
Die BRD ist von diesen Entwicklungen nicht ausgenommen.
Auch hierzulande wird das Asylrecht immer weiter verschärft und neue Polizeigesetze erlassen, die mit demokratischen Prinzipien nichts zu tun haben.
Gleichzeitig gewinnt die AfD an Boden und hat – eingebettet in ein Netzwerk Neuer Rechter und Neonazis – ihr völkisches und menschenverachtendes Gesicht längst offen gezeigt.
Gewählt wird sie trotzdem oder gerade deswegen. Das ist zwar erschreckend, aber eigentlich nicht verwunderlich.
Betroffene und Einstellungsforscher_innen weisen seit Jahren darauf hin, dass Antisemitismus, Rassismus, Homofeindlichkeit und Antiziganismus tief in der Mehrheitsgesellschaft verwurzelt sind und von vielen Menschen geteilt werden. Daran können die Rechten anknüpfen – und zwar nicht nur in Sachsen, sondern auch in Baden-Württemberg und auch in Freiburg.
Baden-Württemberg ist das Bundesland gleich hinter Sachsen, in dem es im vergangenen Jahr zu den meisten rassistischen Übergriffen gegenüber Geflüchteten kam.
Und erst vergangenen Herbst nahm die AfD eine Gruppenvergewaltigung in Freiburg Nord zum Anlass um mit mehreren Hundert Rechten durch die Straßen zu ziehen und gegen Geflüchtete und Linke zu hetzen.
Für die Ignoranz der Mehrheitsgesellschaft gegenüber sexualisierter Gewalt und das Vorhandensein tief verwurzelter rassistische Bilder war es bezeichnend, dass die Nachricht des Verbrechens selbst keine öffentliche Aufmerksamkeit fand. Erst die Bekanntgabe der Herkunft der Täter machte den Fall zum Politikum.
Die Argumentation von AfD und Co ist damit auch in der Freiburger Bevölkerung anschlussfähig.
Umso wichtiger, dass die Rechten in Freiburg nicht laufen konnten ohne auf Protest zu stoßen. Und noch wichtiger, dass wenige Wochen später – getragen von einem breiten Bündnis – fast tausend Menschen gegen sexualisierte Gewalt auf die Straße gingen. Unabhängig davon, wer die Täter sind.
Menschenverachtende Einstellungen zeichnen sich dadurch aus, dass Menschen für ungleichwertig erklärt werden und ihnen ihre Würde aberkannt wird. Rechte Politik wiederum läuft darauf hinaus, Gewalt gegen alle anzuwenden, die nicht ins völkische Weltbild passen und politische Gegner_innen einzuschüchtern.
Die Spielräume für alle, die sich für demokratische Prinzipien, solidarisches Zusammenleben und gegen Menschenverachtung einsetzen werden kleiner, sobald Parteien wie die AfD sich ausbreiten können und kommunal oder bundesweit an Einfluss gewinnen.
Deshalb brauchen wir dringend zivil-gesellschaftliche Initiativen wie die Kuhle Wampe, die vor allem durch ihren langen Atem beeindruckt.
Seit über 40 Jahren sind die Mitglieder des Motorradclubs aktiv und bei verschiedensten sozialen Bewegungen – ob Proteste gegen den G7-Gipfel oder Castor-Transporte – mit dabei.
Neben den Themen Gleichberechtigung und Ökologie war das antifaschistische Engagement gegen alte und neue Nazis von Anfang an ein Kernelement des Selbstverständnisses der Kuhlen Wampe.
In der Club-Zeitung stehen neben Artikeln, die vor der Thrombose-Gefahr beim Motorradfahren warnen, Beiträge zu Stolpersteinverlegungen, dem Gedenken anlässlich der Reichspogromnacht oder dem Protest der Gelbwesten in Frankreich.
Die Kuhle Wampe ist eben viel mehr, als ein Motorrad Club.
Das wird auch jedem klar, der mit den Wampen einen Clubabend im Vereinsheim in der Fabrik verbringt. Ganz selbstverständlich wird noch vor der Organisation des nächsten Freizeitausflugs besprochen, wer die Club-Fahne zu den Protesten gegen die rechten und antifeministischen Pius-Brüder mitbringt.
Die Pius-Brüder marschieren alljährlich nach Ostern in Freiburg gegen das Recht auf Abtreibung und für ein erzkonservatives Gesellschafts- und Familienbild. Immer wieder schaffen sie es aufgrund wiederholter Holocaust-Leugnung in die Schlagzeilen.
Bei den Protesten vergangenen Freitag waren die Wampen natürlich mit dabei.
Die Freiburger Kuhle Wampe ist vielfältig aktiv. Mit Infoständen gegen rechts sind sie in Freiburg und dem Umland präsent. In Lörrach protestierten sie gegen Abschiebungen.
Einen ihrer schönsten Erfolge feierten die Freiburger Wampen in den 1980er Jahren bei den Protesten gegen die Aktivitäten alter und neuer Nazis, die im Wiesental sogenannte Gedenkfeiern für rechte Märtyrer abhalten wollten. Mit ihren Maschinen gelang es den Wampen, die Rechten zu blockieren und dem Spuk ein Ende zu bereiten.
In besonders schöner Erinnerung blieb viele Wampen auch der erfolgreiche Protest gegen einen geplanten Aufmarsch der NPD. 2002 verhinderten tausende Freiburger_innen diese rechte Demo. Das konnte nur gelingen weil eine große zivil-gesellschaftliche Bewegung auf den politischen Willen traf, den Aufmarsch nicht um jeden Preis durchzusetzen. – Und weil die Mitglieder der Kuhlen Wampe den Hinterausgang des Bahnhofs mit 218 Motorrädern blockierten.
Sie sind immer noch da und sie sind immer noch aktiv. Und deshalb gratuliere ich der Kuhlen Wampe heute von ganzem Herzen dafür, dass sie für ihr jahrzehntelanges antifaschistisches Engagement mit dem Berndt Koberstein Preis ausgezeichnet wird.
Berndt Koberstein selbst wäre mit dieser Wahl sicherlich hoch zufrieden gewesen. Zu seinen Lebzeiten war er mit Mitgliedern der ersten Stunde wie Bernd Obrecht befreundet und düste bei ihm hinten auf dem Motorrad durch die Gegend – Unfall inklusive. Eigentlich wollte er selbst den Führerschein machen, sich ein Motorrad anschaffen und beitreten. Wäre er nicht von Rechten in Nicaragua erschossen worden, würde er vielleicht Mittwochs im Vereinsheim sitzen und mit der Kuhlen Wampe Freiburg Bier trinken.
In diesem Sinne stoßen wir heute Abend gemeinsam an: Auf Berndt Koberstein, auf die Kuhle Wampe und auf den Antifaschismus!